Um mehr als 10 Prozent legten die Wohnimmobilienpreise in Deutschland im zweiten Quartal
2022 gegenüber dem Vorjahresquartal zu, allen Krisen zum Trotz. Das geht aus dem Preisindex
des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) hervor, für den die Immobilienfinanzierungen
von über 700 Banken analysiert werden. In naher Zukunft sei jedoch mit einer „spürbaren
Abschwächung der Preisdynamik“ zu rechnen, prognostiziert vdp-Hauptgeschäftsführer Jens
Tolckmitt im Interview mit dem Fachmagazin procontra.

Hauptgründe seien die gestiegenen Zinsen, Energiekrise und Inflation, der Mangel an
Fachkräften und Material sowie die „gedämpften Wachstumsaussichten“. All diese Faktoren
schlügen mit einer gewissen Zeitverzögerung auf den Markt durch, denn „von der
Finanzierungsanfrage bis zum endgültigen Abschluss können manchmal Monate vergehen“. Mit
weiterhin steigenden Preisen sei aber zu rechnen, so Tolckmitt: „Schließlich ist der
Wohnungsmarkt nach wie vor angespannt, und die Bautätigkeit fällt weiterhin viel zu gering
aus.“ Vor allem für sogenannte Schwellenhaushalte, also solche mit auf Kante genähtem Budget
für den Immobilienerwerb, werde es angesichts der sich verschlechternden
Finanzierungskonditionen zusehends schwieriger, zum Zuge zu kommen.

Die dynamische Entwicklung der Immobilienpreise in Deutschland ist Ausdruck eines Marktes, der trotz multipler Belastungsfaktoren weiterhin eine enorme Nachfrage verzeichnet. Während viele Branchen unter den Folgen geopolitischer Spannungen, Lieferkettenproblemen und dauerhaft hoher Inflation leiden, bleibt der Wohnungsmarkt ein knappes Gut – ein Umstand, der die Preisspirale lange Zeit ungebremst angetrieben hat. Dass die Preise selbst im Krisenjahr 2022 noch zweistellig zulegten, verdeutlicht die strukturellen Engpässe, die sich über Jahre aufgebaut haben.

Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen für einen Wendepunkt. Die Zinswende stellt für viele Kaufinteressenten eine erhebliche Hürde dar. Wo in den Jahren zuvor historisch günstige Finanzierungen möglich waren, müssen potenzielle Käufer nun teils doppelt bis dreifach so hohe Zinsbelastungen einkalkulieren. Diese Verteuerung führt zwangsläufig zu einer geringeren Kreditfähigkeit vieler Haushalte und damit zu einer Abkühlung der Nachfrage. Besonders betroffen sind junge Familien und mittlere Einkommensgruppen, die schon zuvor nur mit knapper Kalkulation Aussicht auf Wohneigentum hatten.

Hinzu kommen die stark gestiegenen Energie- und Baukosten. Die Energiekrise zwingt Eigentümer wie Bauherren gleichermaßen, in energetische Maßnahmen zu investieren – sei es zur Reduzierung laufender Betriebskosten oder zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben. Die Materialpreise, die seit der Pandemie drastisch gestiegen sind, erschweren zudem Neubau und Sanierung. Viele Bauträger berichten von Projektverzögerungen oder -stopps, da genaue Kostenkalkulationen aufgrund volatiler Märkte kaum möglich sind. Der Mangel an Fachkräften verschärft diese Problematik weiter, sodass selbst geplante Projekte nicht in dem Tempo realisiert werden können, das zur Deckung des Wohnraumbedarfs notwendig wäre.

Die prognostizierte Abschwächung der Preisdynamik bedeutet jedoch nicht zwangsläufig sinkende Preise. Vielmehr handelt es sich um eine Normalisierung nach Jahren extremer Wachstumsraten. Da das Angebot an Wohnraum weiterhin hinter der Nachfrage zurückbleibt, ist ein langfristiger Preisverfall eher unwahrscheinlich. Vielmehr könnte der Markt in eine Phase übergehen, in der die Preissteigerungen moderater ausfallen und stärker regional differieren. Während Metropolregionen wie München, Hamburg oder Frankfurt bereits erste Preisplateaus oder leichte Korrekturen verzeichnen, bleiben viele ländliche Regionen und Mittelstädte aufgrund ihres im Verhältnis günstigeren Preisniveaus attraktiv.

Für Schwellenhaushalte verschärft sich die Situation allerdings zunehmend. Sie müssen nicht nur höhere Zinsen schultern, sondern auch größere Eigenkapitalanteile aufbringen, um Finanzierungen solide darstellen zu können. Banken reagieren auf die gesamtwirtschaftlichen Unsicherheiten mit strikteren Prüfungen, was den Zugang zu Krediten weiter erschwert. Gleichzeitig steigen die Nebenkosten des Erwerbs – etwa für Energieausweise, Gutachten und Sanierungsmaßnahmen –, was zusätzliche Belastungen schafft.

Der Wohnungsmarkt bleibt damit gespalten: Während Kapitalanleger und Haushalte mit hohem Einkommen ihre Investitionen weiterhin tätigen können, stehen finanzschwächere Gruppen zunehmend am Rand des Marktes. Diese Entwicklung könnte soziale Spannungen verschärfen und die politische Diskussion um bezahlbaren Wohnraum weiter anheizen. Bereits jetzt fordern zahlreiche Verbände und Experten verstärkte staatliche Maßnahmen, darunter ein Ausbau der Wohnraumförderung, steuerliche Anreize für Neubauprojekte und flexiblere Vorgaben im Baurecht.

Eine entscheidende Rolle wird künftig auch die energetische Qualität von Bestandsimmobilien spielen. Gebäude mit schlechter Energieeffizienz verlieren zunehmend an Attraktivität, nicht zuletzt wegen der steigenden Energiekosten. Käufer achten verstärkt auf langfristige Verbrauchskosten, Sanierungsbedarf und Fördermöglichkeiten. Dies führt dazu, dass sich der Markt stärker segmentiert: Energetisch moderne Objekte bleiben begehrt und wertstabil, während unsanierte Altbauten preislich unter Druck geraten.

Alles in allem deutet sich ein Übergang vom jahrelangen Verkäufermarkt zu einem ausgewogeneren Markt an, in dem Käufer wieder mehr Verhandlungsspielräume erhalten. Dennoch bleibt Wohnraum knapp, und fundamentale Engpässe verhindern eine deutliche Entspannung. Die kommenden Quartale werden zeigen, wie stark die Zinsentwicklung das Verhalten potenzieller Käufer beeinflusst – und ob die politischen Maßnahmen ausreichen, um die Wohnungsbauaktivitäten wieder anzukurbeln.