Reale vs. gefühlte Inflation

Auf 18 Prozent schätzten die Deutschen die Inflationsrate im Mai dieses Jahres, wie eine Studie des Kreditversicherers Allianz Trade erbrachte. Die offizielle Teuerungsrate betrug dagegen nur 6,1 Prozent. Mit fast zwölf Prozentpunkten klaffen reale und gefühlte Inflation hierzulande deutlich weiter auseinander als in der Eurozone insgesamt (neun Prozentpunkte).

Ausschlaggebend für den Unterschied zwischen Einschätzung und Wirklichkeit ist, dass häufig gekaufte Güter wie Lebensmittel oder Kraftstoff die Verbraucherwahrnehmung dominieren. Preisstabilität oder gar -rückgänge bei anderen Waren und Leistungen bleiben eher unter dem Radar.

Das ist nicht nur ein psychologisches Problem, sondern auch ein konjunkturelles – denn je höher die gefühlte Inflation, desto mehr schränken die Verbraucher ihre Ausgaben ein. „Diese Diskrepanz spielt also gerade für die Wirtschaft und die Unternehmen sowie für die Zinspolitik eine wichtige Rolle“, hebt Jasmin Gröschl, Senior-Volkswirtin bei Allianz Trade, hervor. 

Besonders stark wirkt sich die gefühlte Inflation auf das Konsumverhalten von Haushalten mit niedrigem oder mittlerem Einkommen aus. Diese Gruppen geben einen vergleichsweise größeren Anteil ihres Budgets für Produkte des täglichen Bedarfs aus – etwa für Lebensmittel, Energie oder Mobilität. Preissteigerungen in diesen Bereichen fallen daher subjektiv schwerer ins Gewicht als statistisch erfasst. Auch mediale Berichterstattung trägt zur Wahrnehmung bei: Meldungen über stark steigende Einzelpreise, etwa für Butter, Tomaten oder Diesel, prägen das Bild mehr als stabile oder sinkende Preise bei langlebigen Konsumgütern wie Elektronik oder Möbeln.

Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von einer „verzerrten Preiswahrnehmung“, die auch politische Debatten beeinflussen kann. So entsteht Druck auf Zentralbanken und Regierungen, obwohl die Kerninflation – also bereinigt um volatile Preise – oft deutlich niedriger liegt.

Langfristig kann diese Diskrepanz das Vertrauen in offizielle Statistiken und wirtschaftspolitische Entscheidungen untergraben, was wiederum die Stabilität der Wirtschaft gefährdet. Eine transparente Kommunikation der Preisentwicklung ist deshalb essenziell.