Rund 3,3 Milliarden Euro verlangen Gläubiger vom insolventen Ex-DAX-Konzern Wirecard. Knapp ein Drittel davon konnte durch die Insolvenzmasse erlöst werden. Die circa 22.000 getäuschten Aktionäre werden davon indes nichts sehen, wie das Landgericht München kürzlich klarstellte.

Bei ihren Ansprüchen handle es sich nämlich nicht um Insolvenzforderungen, sie seien damit keine Gläubiger. Erst wenn diese entschädigt würden, kämen die Anteilseigner zum Zuge – im Fall Wirecard also gar nicht. Die Klägerin, eine Fondsgesellschaft, erwägt nun, vor den Bundesgerichtshof zu ziehen.

Ebenfalls vor dem Landgericht München müssen sich einige der ehemaligen Wirecard-Strippenzieher derzeit strafrechtlich verantworten, weil sie Bilanzen gefälscht und Scheinumsätze in Milliardenhöhe fingiert haben sollen. Der Ex-Vorstandsvorsitzende Markus Braun präsentiert sich dabei selbst als Opfer, das von einer konzerninternen Bande hinters Licht geführt worden sei. Auf der Flucht ist nach wie vor der ehemalige hochrangige Manager Jan Marsalek, der mutmaßlich in Russland lebt.

Der Wirecard-Skandal, einer der größten Wirtschaftsskandale in der Geschichte der Bundesrepublik, wirkt bis heute nach. Die jüngsten Entscheidungen des Landgerichts München zeigen einmal mehr, wie schwer es für geschädigte Anleger ist, in der Insolvenz eines Unternehmens auch nur einen kleinen Teil ihrer Verluste zu kompensieren. Während Gläubiger wie Banken, institutionelle Kreditgeber oder Lieferanten im Insolvenzverfahren vorrangig behandelt werden, stehen Aktionäre strukturell immer am Ende der Verwertungskette. Dies folgt dem Grundprinzip des Aktienrechts: Anteilseigner tragen das unternehmerische Risiko und profitieren im Gegenzug von möglichen Gewinnen – im Fall eines Scheiterns haften sie jedoch als Letzte.

Gerade im Wirecard-Komplex ist dieser Grundsatz besonders schmerzhaft, da Tausende Privatanleger in gutem Glauben investiert hatten und die Manipulationen über Jahre hinweg von Wirtschaftsprüfern, Aufsichtsbehörden und Analysten nicht erkannt oder zumindest nicht verhindert wurden. Dass das Gericht die Ansprüche der Aktionäre dennoch nicht als Insolvenzforderungen einstuft, zeigt die strikte juristische Trennung zwischen betrugsbedingten deliktischen Ansprüchen und klassischen Gläubigerforderungen. Nur letztere werden im Verfahren berücksichtigt. Die Aussicht, dass Anleger im Wege nachrangiger Forderungen entschädigt werden könnten, ist angesichts der geringen Masse praktisch ausgeschlossen.

Die Fondsgesellschaft, die den Klageweg beschreitet, setzt damit eher ein symbolisches Zeichen. Ein Gang zum Bundesgerichtshof könnte zwar eine rechtliche Grundsatzentscheidung herbeiführen, aber die Chancen für eine tatsächliche finanzielle Kompensation stehen realistisch betrachtet äußerst gering. Der Fall zeigt vielmehr die strukturellen Schwächen des Anlegerschutzes in Deutschland auf und verdeutlicht, wie essenziell klare gesetzliche Vorgaben, unabhängige Kontrollen und wirksame Überwachungsmechanismen sind.

Parallel dazu läuft der strafrechtliche Prozess gegen mehrere ehemalige Topmanager des Konzerns. Die Anklage wirft ihnen vor, Bilanzen über Jahre hinweg manipuliert und Zahlungsströme erfunden zu haben, um den Konzern größer, erfolgreicher und liquider erscheinen zu lassen, als er tatsächlich war. Es handelt sich um ein systematisches Täuschungskonstrukt, das nur durch ein Netzwerk aus internen Mitwissern, verschachtelten Firmenstrukturen und verschleierten Finanztransaktionen möglich war. Die Vorwürfe umfassen gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Marktmanipulation und Bilanzfälschung – Straftaten mit erheblichem Schadenspotenzial für Anleger, Kunden und den Finanzmarkt insgesamt.

Markus Braun, der ehemalige Vorstandsvorsitzende, weist weiterhin jede Schuld von sich. Seine Strategie, sich als Opfer eines besonders raffiniert agierenden Täterkreises darzustellen, ist konträr zur Sichtweise der Staatsanwaltschaft, die ihn als zentralen Architekten des Systems bezeichnet. Die Glaubwürdigkeit dieser Verteidigungsposition wird im Prozess intensiv geprüft, und die Beweisaufnahme soll klären, in welchem Maß Braun über die fingierten Umsätze informiert war oder diese sogar selbst initiiert hat.

Eine besondere Rolle spielt weiterhin der frühere COO Jan Marsalek, dessen Aufenthaltsort seit Beginn der Ermittlungen ungeklärt ist. Marsalek gilt als Schlüsselfigur im mutmaßlichen Betrugssystem und wird international gesucht. Hinweise verdichten sich darauf, dass er sich mit Hilfe eines weitreichenden Netzwerks nach Russland abgesetzt haben könnte, wo er vermutlich unter dem Schutz lokaler Akteure lebt. Die Tatsache, dass einer der Hauptverdächtigen nicht erreichbar ist, erschwert die vollständige Aufarbeitung des Falles erheblich.

Der Wirecard-Skandal hat nicht nur Anlegern enorme Schäden zugefügt, sondern auch das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt und die Wirtschaftsprüfung nachhaltig erschüttert. Als Reaktion wurden regulatorische Reformen angestoßen, insbesondere im Bereich der Finanzaufsicht (BaFin), der Wirtschaftsprüfung sowie der Haftung von Prüfern. Ziel ist es, die Kontrollmechanismen zu stärken und zukünftige Fälle dieser Größenordnung zu verhindern.

Für Anleger bleibt der Skandal jedoch eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass selbst vermeintlich solide und wachstumsstarke Unternehmen erhebliche Risiken bergen können. Er unterstreicht die Bedeutung von Diversifikation, sorgfältiger Analyse und unabhängiger Beratung. Zugleich zeigt er, dass strengere staatliche Aufsicht und transparente Unternehmensführung unerlässlich sind, um das Vertrauen der Kapitalmärkte langfristig zu sichern.