Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV), in der sich die Versicherungsmathematiker zusammengeschlossen haben, hat Berufsunfähigkeitsfälle der letzten 20 Jahre ausgewertet. Wie sich herausstellte, hat sich das Risiko, vorzeitig wegen Krankheit oder Unfall den Beruf aufgeben zu müssen, insbesondere für Frauen unter 40 Jahren erhöht – im Betrachtungszeitraum um mehr als 30 Prozent. Primär geht dieser Anstieg auf psychische Leiden zurück, die mittlerweile den Hauptgrund für einen erzwungenen verfrühten Ruhestand darstellen.

Insgesamt beklagen die Aktuare eine anhaltende Sorglosigkeit bei den Berufstätigen in Deutschland: „Die Menschen versichern ihr Smartphone, aber nicht ihre Arbeitskraft und damit ihre Existenzgrundlage“, bringt der DAV-Vorstandsvorsitzende Dr. Herbert Schneidemann die Lage auf den Punkt und warnt eindringlich: „Ohne eine entsprechende Absicherung sind das für die meisten kaum zu kompensierende Einschnitte im Haushaltseinkommen, und für Alleinverdiener oder Singles kann das sogar den Ruin bedeuten.“ Im Jahr 2019 verfügten nur rund 17 Millionen der 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland über eine Invaliditätsabsicherung.

Diese Entwicklungen verdeutlichen, wie dringend notwendig ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung der eigenen Arbeitskraft als zentrale wirtschaftliche Ressource ist. Während technologische Geräte, Fahrzeuge oder Haushaltsgegenstände selbstverständlich versichert werden, bleibt die Absicherung der persönlichen Erwerbsfähigkeit häufig unberücksichtigt – obwohl sie im Ernstfall weitreichendere finanzielle und soziale Konsequenzen nach sich zieht. Viele Menschen unterschätzen dabei nicht nur die statistische Wahrscheinlichkeit einer Berufsunfähigkeit, sondern auch die Tiefe der finanziellen Folgen, die bereits nach wenigen Monaten ohne Einkommen spürbar werden. Besonders kritisch ist die Situation für Berufsgruppen, die körperlich oder psychisch stark belastet sind, aber ebenfalls für solche, die in modernen Arbeitsumfeldern stetig steigenden Leistungsanforderungen ausgesetzt sind.

Darüber hinaus zeigt sich, dass psychische Erkrankungen längst kein Randphänomen mehr darstellen, sondern sich zu einer der wichtigsten Herausforderungen im Gesundheits- und Arbeitsmarkt entwickelt haben. Der wachsende Druck in der Arbeitswelt, permanente Erreichbarkeit, hohe Erwartungshaltungen und zunehmende Komplexität tragen dazu bei, dass Stress- und Erschöpfungserkrankungen zunehmen. Diese Erkrankungen verlaufen oft schleichend, werden spät erkannt und führen daher häufiger und nachhaltiger zu Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit. Die Absicherung gegen dieses Risiko ist umso bedeutender, als öffentliche Leistungen wie die Erwerbsminderungsrente die tatsächlichen Einkommensverluste meist nicht annähernd ausgleichen können.

Hinzu kommt, dass eine ausreichende private Vorsorge nicht nur die Existenz schützt, sondern auch eine wichtige psychologische Komponente besitzt: Wer weiß, dass seine Arbeitskraft finanziell abgesichert ist, kann Belastungssituationen häufig gelassener begegnen und hat mehr Handlungsspielraum, beispielsweise für berufliche Neuorientierungen oder therapeutische Maßnahmen. Für jüngere Menschen erscheint das Thema Berufsunfähigkeit oft weit entfernt, doch gerade sie profitieren von frühen Abschlüssen, da Gesundheitszustand und günstige Beiträge langfristige Stabilität sichern. Auch Selbstständige stehen besonders in der Verantwortung, da sie ohne arbeitgeberfinanzierte Sicherungssysteme vollständig auf sich gestellt sind und Ausfälle unmittelbar betriebliche und private Existenzgrundlagen bedrohen.

Nicht zuletzt ist die Berufsunfähigkeitsversicherung ein wesentlicher Bestandteil moderner finanzieller Lebensplanung. Sie ergänzt andere Vorsorgestrategien, schafft kalkulierbare Rahmenbedingungen und verhindert, dass langfristige Ziele – wie Altersvorsorge, Immobilienfinanzierung oder familiäre Absicherung – im Fall einer Erkrankung abrupt scheitern. Angesichts der klaren Datenbasis und der gesellschaftlichen Entwicklungen wird deutlich, dass eine nachhaltige Einkommensabsicherung nicht länger als optional gelten darf, sondern als fundamentaler Bestandteil persönlicher Risikovorsorge verstanden werden muss.